Gemeinsamer GottesdienstBeim Lied nach der Predigt schweigt am 10.07.2016 in der Fuldaer Christuskirche die Orgel. Stattdessen nutzen alle Gottesdienstbesucher ihre Hände zum Gebärden: Unter Anleitung von Pfarrer Käsemann probiert die ganze Gottesdienstgemeinde gemeinsam das Gebärdenlied „Gott, nimm mich mit auf deinen Weg“. Liedtext und Rhythmus werden sichtbar, als alle ihre Hände im selben Takt und mit denselben Handformen bewegen. Was für viele hörende Gottesdienstbesucher eine neue Erfahrung ist, ist für taube Menschen die gewohnte Weise Musik zu machen: eine Musik der Hände, die zur Poesie für die Seele wird.
Unter dem Motto „Wundert sich eigentlich noch jemand?“ hatten sich zum Gottesdienst in Gebärden- und Lautsprache am 7. Sonntag nach Trinitatis Menschen aus Fulda und Umgebung bis hin nach Nordhessen und dem Rhein-Main-Gebiet in der Christuskirche eingefunden, Gemeindeglieder aus der Christuskirchengemeinde und aus Gebärdensprachgemeinden unserer Landeskirche.

Als Kirchenvorsteherin Andrea Leßmöllmann die biblische Wundererzählung von den fünf Broten und zwei Fischen zunächst in Lautsprache vorliest und Markus Bös Markus Bös, Gebärdensprachgemeinde Fuldavon der Gebärdensprachgemeinde Fulda den Bibeltext anschließend in Gebärdensprache zeigt, ist im ganzen Kirchenraum aufmerksam gespannte Konzentration zu spüren. Manche Hörende kennen das vom Kirchentag, dass im Gottesdienst gebärdet wird. Für andere ist es ein unvertraut berührendes Erlebnis, einen Bibeltext in Gebärdensprache zu sehen.
Pfarrerin Keller-Stenzel und Pfarrer KohlPfarrer Fried-Wilhelm Kohl von der Christuskirchengemeinde geht in seiner Predigt auf die Wundererzählung ein. Er zitiert den Schlager „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ und betont: Auch die Menschen heutzutage sehnen sich nach Wundern, „besonders dann, wenn uns der gewohnte Alltag zerbricht.“ Wunder, das sind aber gerade nicht die öffentlichkeitswirksamen Ereignisse. Sondern wo ein Mensch sich von Jesus anrühren lasse: „Komm. Ich bin bei Dir. Ich brauche dich“, da geschehen die Wunder. Da ist Gott, mitten im Alltag, überall dort, wo Menschen inmitten ihrer Krisen und angesichts der Brüche ihres Lebens ein Gegenüber brauchen.
Lutz Käsemann, Beauftragter für Gehörlosenseelsorge der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und Pfarrerin Melanie Keller-Stenzel, Gehörlosenseelsorgerin im Sprengel Hanau, dolmetschten im Gottesdienst. Dadurch waren Liturgie und Predigt, Gebete, Lieder und Segen in Lautsprache zu hören und zugleich in Gebärdensprache zu sehen.
Nach dem Gottesdienst gab es bei herrlichem Sonnenschein ein Beisammensein und erfrischende Getränke auf dem Kirchhof. Ab dem Mittagessen feierte die Gebärdensprachgemeinde bei ihrem jährlichen Sommerfest im Haus Oranien bis zum frühen Abend weiter.
Ein tolles Erlebnis war am Nachmittag das ‚Drucken wie zu Luthers Zeiten‘ in der Christuskirche. Kinder und Jugendliche, aber auch viele Erwachsene aus der Drucken wie zu Luthers ZeitenGebärdensprachgemeinde waren von der historischen Druckpresse begeistert und haben Worte aus Psalm 36 gedruckt: „Gott, bei dir ist die Quelle des Lebens.“ So bekam der wunderbare Tag einen geistlichen Rahmen in Klang und Gebärde, Wort und Bild.
M. Keller-Stenzel
Fotos: privat